Plötzlich bläst ein eiskalter Wind um mich herum. Innerhalb von nur zehn Minuten
wird es so kühl, dass ich meine Windstopper-Jacke aus dem Rucksack holen muss.
Nun kommt der Temperatursturz also doch!
Dann verschwinden die ersten Gipfel um mich herum in den Wolken. Nicht weit
entfernt sehe ich bereits eine Regenfront aufziehen. Als ich die
Verpflegungsstelle Schwarzsee (2552 m) erreiche ist es schon recht stürmisch.
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In der Ferne donnert es. Ich halte mich hier nur sehr kurz auf und eile gleich
weiter. Jetzt weiß ich, dass ich auf jeden Fall rechtzeitig vor dem Cut Off bei
Stafel ankommen werde, doch nun schwebt das alte Damoklesschwert "Rennabbruch"
am Himmel. Wenn ein richtiges Gewitter aufzieht, dann muss ich damit rechnen,
bei Stafel nicht mehr weiter laufen zu dürfen, wofür ich aus Sicherheitsgründen
natürlich volles Verständnis habe.
Schon beginnt leichter Regen, der bald stärker wird. Das beliebte Fotomotiv
"Schwarzsee mit Matterhorn" fällt heute wegen Horn in Wolken aus, aber von einem
weiter unten liegende See aus kann ich zumindest noch einmal das Ober Gabelhorn
(dieses Mal von einer anderen Seite als heute morgen) fotografieren, bevor es in
den Wolken verschwindet.
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Zuerst lädt nun ein breiter Fahrweg zum Gas geben ein. Der Blick nach hinten ins
Tal wird von Regenschleiern fast völlig verborgen. |
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Nach kurzem Rennen auf dem Fahrweg laufe ich wieder steil auf einem herrlichen
Single-Trail hinab. Als ich zum letzten Mal hier war, fotografierte ich an
dieser Stelle mit Begeisterung den schönen Wald, aber heute will ich nur noch
schnell voran kommen. Mit Vollgas laufe ich bergab, werde unterwegs aber doch
von einem viel schnelleren Italiener überholt.
Vorbei an der Stafelalp, ein Stück ins Tal hinein, dann über mehrere Brücken
erreichen wir die andere Talseite, wo ein einsamer Streckenposten an der Cut Off
Stelle wartet. Die 30K-Läufer zweigen hier nach rechts ab und laufen direkt nach
Zermatt, auf uns 46K warten nun noch etwa 540 Höhenmeter Aufstieg bis auf 2741
m, dann der Abstieg nach Trift sowie ein weiterer Aufstieg mit mehr als 160 m,
bevor wir zuletzt nach Zermatt hinab dürfen. |
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Das ferne Gewitter ist nach drei oder vier Donnerschlägen längst verschwunden,
und daher ruft mir der Streckenposten nur kurz ein "Viel Glück" zu, als ich an
ihm vorbei nach links verschwinde. Schön, noch 35 Minuten Reserve bis zum
Zeitlimit! Damit bin ich zufrieden.
Ich fühle mich immer noch gut und ich weiß, dass ich die restlichen Kilometer
auf jeden Fall innerhalb der eingeplanten Zeit schaffen werde.
Nun steige ich neben einem außergewöhnlich schönen Wasserfall auf, den ich schon
bei früheren Besuchen zwei Mal fotografierte. Heute fehlt leider das Matterhorn
im Hintergrund des Bildes, da der Regen inzwischen stark zugenommen hat.
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Inzwischen habe ich den Italiener, der vorhin an mir vorbei spurtete, fast
eingeholt. Noch ein kurzes Stück weiter vorne steht ein weiterer Läufer am
Streckenrand. Ich sehe, wie der Italiener mit ihm redet und ihm dann hilft, eine
Rettungsdecke aus Alufolie unter das Shirt zu stecken. Der Arme ist wohl völlig
durchgefroren und kehrt nun notdürftig geschützt um.
Gleich darauf holen mich zwei junge Läufer ein, die als "Besenwagen" den Schluss
des Läuferfeldes kontrollieren. Klasse, endlich trage ich mal wieder die "Rote
Laterne"! Einer der beiden Streckenkontrolleure fragt mich, wie ich mich fühle.
"Prima", antworte ich, und das ist die volle Wahrheit. Ob ich weiß, dass wir nun
im kalten Regen längere Zeit wieder bergauf steigen müssen. Ja, klar, ich kennen
die Strecke. Also begleiten sie mich nun durch Regen und Nebel. Einer der beiden
sammelt unterwegs die Fähnchen der Wegmarkierung ein.
Unglaublich, wie schnell die Wärme von 13 Uhr innerhalb von zwei Stunden einer
eisigen Kälte gewichen ist! Ich muss nun ebenfalls kurz stehen bleiben, zwei
Schichten trockene Klamotten aus dem Rucksack kramen und außerdem Handschuhe und
Mütze anziehen. Dabei werden die Papiertücher nass, mit denen ich eigentlich bei
Regen nach jedem Foto die Kamera trocknen wollte.
Während ich in ein kleines Seitental steige, ist vor mir nichts mehr vom Ober
Gabelhorn zu sehen. Auch in Richtung Dent d´Herens erkenne ich statt
Stockjigletscher und Tiefmattengletscher fast nur noch Grau. |
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Bis Schwarzläger auf 2741 m marschieren der Italiener, die beiden Schlussposten
und ich durch den eisigen Regen. Danach folgt eine lange, eigentlich schnell
laufbare Trailstrecke, die beim Regen allerdings oft mit großen Pfützen gefüllt
ist, so dass ich nicht immer so schnell laufen kann wie es hier meinen
Vorgängern noch vor zwei Stunden gelang.
Doch obwohl ich von den fernen Gipfeln nichts mehr sehe, trotz dem Regen und
zeitweise sogar starkem Nebel, macht es mir auch hier wieder unglaublich viel
Spaß. Schöne Aussicht hatte ich heute schon stundenlang, nun sorgt die
Regenwetter-Stimmung für Abwechslung. Doch ohne Handschuhe, Mütze und Jacke
würde es mir jetzt hier sicher nicht so gefallen.
Der Italiener und ich rennen an einem Läufer vorbei, der auch hier nur noch
gehen kann. Hurra, endlich bin ich die Rote Laterne wieder los! |
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Kurz bevor wir das Berghaus Trift erreichen, reist der Nebel auf. Zu meiner
großen Überraschung sehe ich, wie weit die Schneegrenze während der letzten
Stunde gesunken ist. Sogar der Gornergrat scheint jetzt von einer kleinen
Schneeschicht bedeckt zu sein.
In der Ferne taucht bereits wieder das herrliche Panorama mit Monte Rosa und
Breithorn aus dem Nebel auf. Nur vom unmittelbar über mir liegenden
Triftgletscher, ein Anblick, den ich von einem früheren Urlaub kenne, sehe ich
nun leider wegen tiefer Wolken nichts. |
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Wieder halte ich mich an der Verpflegungsstelle nur kurz auf. Der Italiener
bleibt länger hier und verschwindet für lange Zeit aus meiner Sicht. Noch einmal
geht es eine Weile bergauf, doch die nun wieder tolle Aussicht entschädigt für
die letzte Anstrengung.
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Dann folgen etwa 950 Höhenmeter Abstieg. Anfangs führen die Trails über Wiesen.
Wer mich kennt, der weiß, dass zu meiner vollständigen Freude heute bisher nur
eines gefehlt hat: eine Schlamm-Rutschbahn. Doch auch die wird mir nun beim
Abstieg serviert. Der Regen weichte an einigen Abschnitten des Trails den Boden
ordentlich auf. Während die allermeisten Läufer hier vor dem Regen mit hoher
Geschwindigkeit bergab sausen konnten, muss ich an manchen Stellen etwas
aufpassen und bin wieder froh, die Stöcke dabei zu haben. Für den Weg von Trift
nach Zermatt brauche ich insgesamt 1:26, Kilian dagegen schaffte dieses Stück in
unglaublichen 0:31.
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Nun kommt für mich der emotionalste Moment des Tages. Unter mir liegt ein
faszinierendes Wolkenmeer, und darüber hängen noch ein paar letzte Wölkchen an
mit frischem Schnee bedeckten Gipfeln. Die Schönheit dieses Anblicks treibt mir
die Tränen in die Augen. Genau wegen solcher Momente laufe ich! So etwas erlebt
man nicht, wenn man nur zuhause vor dem Fernseher oder am Internet sitzt! Ich
fühle mich überglücklich, hier und jetzt laufen zu dürfen.
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Später sehe ich weit unter mir Zermatt, erlebe kurz darauf noch einmal
eine schöne Nebelstimmung, laufe durch moosbewachsene Wälder, muss noch einen
wirklich verdammt kniefressend steilen Abschnitt bewältigen, aber die letzten
beiden Kilometer kann ich dann so richtig Vollgas laufen. |
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Vor mir sehe ich zum Greifen nah den Kirchturm, neben dem das Ziel ist. Ich bin
einfach nur glücklich - weniger darüber, dass ich es geschafft habe, sondern
mehr darüber, dass ich so einen wunderbaren Tag erleben und genießen durfte.
Doch das böse Ende kommt völlig unerwartet. Neben dem ersten Haus, das ich in
Zermatt erreiche, stehen drei oder vier 10-15 Jahre alte Kids auf dem Weg. Sie
schauen zu mir, grinsen und laufen dann weg. Als ich die Stelle erreiche, wo sie
eben noch standen, stürze ich mit hoher Geschwindigkeit zu Boden. Diese
gemeingefährlichen Idioten haben eine Schnur in genau der idealen Höhe fest über
den Weg gespannt, so dass ein Läufer mit 100% Garantie stürzen musste. Meine
erst zwei Wochen alte Hose ist zerrissen, mein Knie komplett blutig geschürft
und geprellt. Doch bei diesem üblen Sturz hätte ich mir auch ein paar Knochen
brechen können. So etwas ist kein Dumme-Jungen-Streich, das ist ein äußerst
gefährliches Attentat.
Als ich vom Boden aufstehe holt mich gerade der Italiener ein. Gemeinsam
beseitigen wir die mörderische Falle. An dem Pfosten in Bildmitte war ein Ende
der Schnur festgeknotet. |
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Statt mit Begeisterung über den schönen Lauf durchquere ich nun kurz darauf die
Ziellinie mit einer mörderischen Wut. Ich bin so sauer, dass ich sogar meine
gewohnte Filmaufnahme vom Zieleinlauf vergesse und erst einige Minuten später
zumindest ein Foto vom Ziel knipse.
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10:55 Stunden - kein Vergleich zur sagenhaften Zeit von Kilian und anderen
Läufern aus einer völlig anderen Liga, aber so schlapp wie ich mich in den
letzten Wochen fühlte ist es für mich dennoch ein großer Erfolg, heute überhaupt
das Ziel erreicht zu haben. Einige Sekunden nach mir kommt noch der Italiener,
dann niemand mehr. Ich habe Platz 206 von 240 gestarteten Männern, also sind 33
unterwegs ausgeschieden. Von 44 gestarteten Frauen erreichten 40 das Ziel.
Das gesamte Rennen war hervorragend organisiert. Den "Unfug" verantwortungsloser
Kids kann ein Veranstalter ebenso wenig verhindern wie einen Wetterumschwung.
Was mich aber am Schluss doch etwas enttäuscht ist der Zielbereich. Als
Finisher-Präsent gibt es weder Medaille noch Shirt (brauche ich ohnehin nicht),
aber die grell orangefarbene Kappe mit Ultrak-Logo ist bei einem Lauf mit so
hoher Startgebühr als Erinnerungsgeschenk peinlich. Wenigstens gab es gestern in
der Startertüte einen Flaschengürtel vom Hauptsponsor Scott.
Laut Ausschreibung ist Zielschluss 18.30 Uhr, die Ultraks-Zone sollte bis 19 Uhr
offen sein. Aber als ich um 18:10 Uhr den Gutschein für das Raclette einlösen
will, wird der betreffende Verpflegungsstand bereits abgebaut. Schade, Raclette
am Ziel wäre eine nette Alternative oder Ergänzung zur Pasta gewesen. Den
anderen Gutschein für Pasta löse ich in einer Halle ein, wo wir die letzten
Reste bekommen und wo, während ich noch beim Essen bin, schon um mich herum die
Stühle abgeräumt werden. Kein netter Abschluss, aber wie heißt es so schön: "Den
letzten beißen die Hunde". In meiner normalen Laufgeschwindigkeit hätte ich hier
noch eine Stunde mit anderen Finishern feiern können.
Abgesehen von diesen letzten 30 Minuten war es eine außerordentlich tolle
Veranstaltung! Wer gerne auf steilen Pfaden bergauf und bergab läuft, der MUSS
nächstes Jahr zu diesem landschaftlich einzigartig schönen Lauf fahren. Diese
grandiosen Trails sollte sich kein Bergfreund entgehen lassen! Mir hat mir
dieser Tag extrem gut gefallen. Aber unterschätzt ihn wegen seiner geringen
Distanz nicht - mir brachten diese 46 km den stärksten Muskelkater des Jahres.
Links
Und hier ist mein Film von diesem
unvergesslichen Trail
Und nicht zu vergessen natürlich die Homepage der Veranstaltung:
www.ultraks.ch |
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